Sieben Tage unterwegs durch Ostpreußen mit dem Ziel, in Masuren ein kleines Dorf zu besuchen. Es ist der Geburtsort der beiden Schwestern, die mit ihren erwachsenen Kindern und einer Nichte auf Spurensuche sind.
ab Berlin nach Danzig
Zu unserer Familien-Reise-Gruppe gehören sieben Personen. Wir starten von Berlin mit dem Zug nach
Danzig/Gdansk. Der Zug hält. Wir steigen mit unseren vielen Gepäckstücken aus. Ein Herr, um die
Sechzig mit leichtem Bäuchlein, empfängt uns freundlich. Es ist Tomasz, unser Dolmetscher, Reiseleiter und Fahrer des Kleinbusses. Er begrüßt uns lächelnd – die Damen formvollendet mit „Handkuss“. Das sei in Polen so üblich. Die lange Eisenbahnfahrt macht müde; wir sind zurückhaltend, er auch. Unser Hotel befindet sich in der Innenstadt. Das barocke große Treppenhaus ist mit passendem Mobiliar eingerichtet, wie in alten Zeiten.
Nach dem großen Abendessen mit polnischem Bier im Hotel stellt sich leichte Vertrautheit ein. Später, nach einem Rundgang durch die Altstadt mit Thomasz, lösen sich Verspannungen. Wir sind locker, fröhlich, duzen uns, machen Witze. Tomasz ist ein guter Beobachter. Bald hat er uns alle im „Griff“, unsere Gewohnheiten, unsere Macken. Er ist humorvoll, feinfühlig und versucht, alle unsere Wünsche zu erfüllen.
Danzig die Perle an der Ostsee
Wir erleben eine Stadtführung in Danzig. Die Stadtführerin Anna ist gut vorbereitet. Sofort erkennt sie unser großes Interesse und beantwortet alle Fragen detailliert. Zwei Stunden Kopfsteinpflaster durch die historische Altstadt. Anschließend besuchen wir eine Bernsteinschleiferei und bestaunen das „Gold der Ostsee“ in vielen Farbvariationen.
Wir laufen am Ostseestrand, sind fast bis zum Knie im kühlen Wasser, eine kostenlose Massage der Füße ist wohltuend. Das Orgelkonzert in der Barockkirche Oliva, ein Erlebnis. Mein Herzflimmern begann beim „Ave Maria“. Wir erleben die Kanalfahrt über die Rollberge und die Bootsfahrt auf der Krutinna/Krutynia mit den einzigartigen Gebilden des Todholzes und dem kristallklaren Wasser. Im naturgeschützten Wald der „Johannesburger Heide“ wandern wir zum „liebenden Paar“, zwei sich umarmende Bäume, Kiefer und Eiche.
Geschichte ist allgegenwärtig
Die Folgen der Zeit bis 1945 sehen wir dokumentarisch in der KZ-Gedenkstätte Stutthof, stumm vor Entsetzen und Trauer. Eingebettet in einem Wald liegt das Gelände der „Wolfsschanze“. Es ist ein einziges großes Trümmerfeld von Beton und Stahl. Während der Kriegshandlungen in Europa war hier ein Führerhauptquartier. Unfassbar! Ein smarter Historiker führt uns und berichtet voller Leidenschaft die dramatischen Ereignisse an diesem Ort, mit leicht erkennbaren sarkastischen Zügen.
Die Masuren ein Naturerlebnis
Wir reisen weiter in den Südosten Masurens in das kleine Dorf Skomanten/Skomentno bei Lyck/Elk und finden unser Geburtshaus. Es wurde 1930 von unserem Vater erbaut. Seit 13 Jahren ist es unbewohnt, eine verfallende Ruine, Einsturzgefahr. Im Jahr 1944 musste unsere Familie eine „Idylle“ verlassen. Auch das kleine durchs Dorf plätschernde Flüsschen hat sich verändert. Es ist verwuchert und zugewachsen. Nur ein schmales Rinnsal ist erkennbar. Damals war es unser Badeparadies.
Im Museum Wasserturm in Lyck/Elk werden wir überaus freundlich empfangen mit Kaffee, Kuchen, Bärenfang. Die Besitzerin Irina spielt auf der Ziehharmonika ostpreußische Volkslieder. Wir singen, sind fröhlich, trinken wieder Bärenfang. Der Wasserturm ist ein historisches und denkmalgeschütztes Bauwerk, 1895 erbaut. Seit dem Jahr 1994 ist der Wasserturm im Besitz der Gesellschaft der deutschen Minderheit in Lyck. Im Museum gibt es viel zu sehen, zu lesen, Verordnungen aus alten Unterlagen, besonders Informationen über Skomanten finden großes Interesse. Der Abschied fällt schwer.
Familiengeschichte in Ottendorf/Radosty
Es geht weiter nach Ottendorf/Radosty. Unsere Familie hat hier 3 Jahre gewohnt. Unsere Großmutter/Urgroßmutter starb hier 1946. Sie wurde am historischen Glockenturm beigesetzt. Wir waren evangelische Flüchtlinge, durften auf dem katholischen Friedhof nicht beerdigt werden. Die Grabstelle wird gepflegt, die Schrift auf dem Grabstein ist noch lesbar. Wieder werden wir sehr freundlich begrüßt und reichlich beköstigt, auch mit viel Wodka. Die Bürgermeisterin erscheint und meint: „Euch schickt der Himmel“. Auf Initiative der Gemeinde soll der historische Glockenturm renoviert und um die gesamte Anlage mit dem kleinen Friedhof ein neuer Zaun gesetzt werden. Dafür wird Geld gesammelt. Wir spenden Euros.
Marienburg/Malbork
Dann stehen wir auf dem großen Gelände der Marienburg/Malbork. Viele steile Treppen rauf und runter. Der Bau dieser mittelalterlichen Ordensburg dauerte 130 Jahre. In nur einer Nacht wurde sie zerstört. Einiges wird hinterfragt. Das Interesse wächst. Zwei Stunden Burgführung. Danach zünftiges Essen im Burgkeller-Restaurant. Es ist auch ein Abschiednehmen von Tomasz. Wir haben ihn ins Herz geschlossen und überreichen ein kleines Andenken.
Eine gelungene Mischung aus touristischen Attraktionen und Spurensuche an Familienorten
Für uns war es eine wunderbare Reise, eine gelungene Mischung aus touristischen Attraktionen und Spurensuche an Familienorten. Für unsere spontanen Entdeckungen, Begegnungen und Wünsche gab es immer genug Zeit und Flexibilität. Alles war perfekt organisiert, die guten Hotels, die interessanten Besichtigungen, die mächtig gefüllten Teller der Menüs, und zwischendurch Wodka. Wir wurden verwöhnt und von Tomasz liebevoll und kompetent begleitet. Als einheimischer Reiseleiter und Übersetzer hat er uns tiefere Einblicke in unser Nachbarland ermöglicht.
Ein herzliches Dankeschön
Für die Gruppe: Johanna und Andrea , Neustadt am Rübenberge
Im Juni 2023