Der russische Übergriff auf die Ukraine hat die europäische Politiklandschaft erschüttert. Von Lissabon bis Warschau ist es das beherrschende Thema. Während in Deutschland eine Außenpolitische Zeitenwende ausgerufen wurde, sind Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern auf der Flucht. Doch wie wirkt sich der Ukraine-Krieg eigentlich auf Polen aus? Darum soll es in dem heutigen Blogartikel gehen.
Die EU wurde von Russlands Aggression überrascht – Polen nicht
Polens Warnungen vor russischen Expansionsbestrebungen wurden in Europa lange Zeit nicht ernst genommen und belächelnd. Nun ist eingetreten was sich bereits 2014 angekündigt hat und was in Polen seit längerem befürchtet wurde. Zum Glück hat sich das ukrainische Nachbarland schon Monate vor der Invasion auf das aktuelle Szenario vorbereitet. So wurden bereits Anfang des Jahres Ressourcen gebündelt und Kapazitäten für eine mögliche Fluchtbewegung aus der Ukraine geschaffen. Nicht zuletzt deshalb kommt das Land verhältnismäßig gut mit der aktuellen Situation zurecht. Polens konflikthafte Geschichte mit Russland ist wohl nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass man sich in Warschau keine Illusionen über Russlands außenpolitische Bestrebungen gemacht hat. Die eigene Erfahrung Opfer russischer Aggression und Spielball in der internationalen Politik der Großmächte zu sein führt zu großem Verständnis und einer ungebrochenen Hilfsbereitschaft gegenüber der Ukraine.
Innerhalb der EU ist Polen aktuell wohl lautester Fürsprecher für eine möglichst harte Gangart gegenüber Russland. Stets mit dem unguten Gefühl im Hinterkopf, so selbst zur Zielscheibe zu werden. Die russische Propaganda hat Polen schon längst den Krieg erklärt. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte der ehemalige russische Ministerpräsident und heutige Leiter des Sicherheitsrates Dimitri Medwedwew eine Hassrede gegen das so wörtliche „Lieblingsland in Europa“. Seine zynischen und geschichtsrevisionistischen Tiraden weisen erschreckende Parallelen zu der Argumentationslinie des Kremls auf, die aktuell den Angriff auf die Ukraine zu legitimieren versuchen.
So ist die Beunruhigung in Polen durchaus nicht von der Hand zu weisen, wenngleich Polen als Mitglied der EU und des Militärbündnisses NATO der Willkür des russischen Präsidenten nicht ganz schutzlos ausgeliefert ist.
Polen als Aufnahmeland Nummer eins
Doch neben der großen Politik hat der Krieg an Polens Grenze auch eine sehr reale menschliche Dimension. Laut den Vereinten Nationen hat der Konflikt die größte Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Gang gesetzt. Etwa sieben Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind Binnenflüchtende. Von den etwa fünf Millionen Menschen, die das Land verlassen haben, ist über die Hälfte in Polen angekommen. Schon in den ersten zwei Wochen des Kriegs nahm Polen über zwei Millionen Menschen auf. Zum Vergleich: 2015 kamen innerhalb eines Monats nie über 150.000 Menschen nach Deutschland; wobei Polen weniger als die Hälfte der Einwohner Deutschlands hat. Insgesamt gibt es acht Grenzübergänge zwischen Polen und der Ukraine. Die meisten Menschen kommen mit Zügen und Bussen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Frauen mit Kindern und ältere Menschen. Männern zwischen 18 und 60 ist die Ausreise aus der Ukraine untersagt.
Warschau und Krakau als Hauptanlaufziele für Ukrainer:innen auf der Flucht
An der Grenze werden von polnischen Freiwilligen private Transporte in alle Landesteile organisiert. Die meisten Flüchtenden machen sich in Richtung der großen Städte auf; vornehmlich Warschau und Krakau. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen lebten bereits vor dem Krieg über zwei Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer in Polen, vorwiegend in den großen Städten. So können viele Menschen auf der Flucht bei Freunden und Verwandten unterkommen. Sowohl Warschau als auch Krakau sind relativ nahe an der ukrainischen Grenze. Viele hoffen auf ein baldiges Ende des Konflikts und möchten möglichst schnell wieder in ihre Heimat zurückkehren. Außerdem bieten die Großstädte viele Möglichkeiten schnell eine Arbeitsstelle zu finden. Außerdem befinden sich in Warschau und Krakau konsularische Vertretungen der Ukraine.
Maßnahmen der polnischen Regierung
Die Bewältigung der aktuellen Belastungsprobe für Polen wäre ohne das enorme zivilgesellschaftliche Engagement nicht möglich. Doch auch die polnische Regierung zeigt sich zuletzt sehr bemüht, den Schutzbedürftigen umfängliche Unterstützung zuzusichern. So können Ukrainer:innen sowohl den Nah- als auch Fernverkehr umsonst nutzen. Das Parken von Autos mit ukrainischem Kennzeichen ist im ganzen Land kostenlos. Doch der wohl wichtigste Schritt war die rasche Ausstellung von PESEL-Nummern für alle, die aus der Ukraine in Polen Schutz suchen. Dabei handelt es sich um eine persönliche Identifikationsnummer, die für alle Amtsgeschäfte notwendig ist. Durch die Vergabe von PESEL-Nummern haben Ukrainer:innen nun Zugriff auf das polnische Sozialsystem und kostenlose Gesundheitsversorgung. Außerdem können sie nun reguläre Arbeitsverträge annehmen und ihre Kinder für den Schulunterricht anmelden. All das geht sehr schnell. In Krakau können Kinder, die am Samstag ankommen in der Regel bereits am Montag zur Schule gehen. Eine enorme Herausforderung für Schulen und Lehrkräfte. So lag die durchschnittliche Klassengröße in Krakau vor dem Krieg bei etwa 15 Kindern pro Schulklassen. Dieser Wert hat sich in den letzten Tagen in manchen Schulen bereits verdoppelt.
Überwältigende Hilfsbereitschaft aus der polnischen Zivilgesellschaft
Doch der Großteil der Hilfe läuft nicht über institutionelle Kanäle, sondern auf der persönlichen Ebene ab. Seit Beginn des Krieges organisieren sich die Menschen in Polen über Facebook-Seiten, Whatsapp-Gruppen und Nachbarschaftszentren. Es werden kostenlose Fahrten angeboten, Hilfsgüter gesammelt und Unterkünfte organisiert. Sehr viele Flüchtende sind privat bei Pol:innen untergekommen. Über Nacht haben sich Menschen im ganzen Land zusammengerauft, um Hilfstransporte in die Ukraine zu organisieren. So zum Beispiel eine Gruppe von engagierten in Krakau, die dringend benötigte Medikamente nach Lwiw in der Ukraine liefern. Ohne des enormen zivilgesellschaftlichen Engagements und der privaten Vermittlung von Hilfe wäre könnte die aktuelle Situation wohl kaum bewältigt werden.
Auch die Tourismusbranche in Polen leistet Hilfe
Obwohl die Nachwehen der Corona-Pandemie der Tourismusbranche noch tief in den Knochen sitzen, ist auch hier die Hilfsbereitschaft enorm. Viele Hotelunternehmen stellen kostenlose Zimmer zur Verfügung. Busunternehmen stellen Transporte zur Verfügung, sowohl in Polen als auch in andere europäische Länder.
Polenreisen Nürnberg unterstützt ebenfalls
Wir, die Mitarbeiterinnen des Reisebüros Polenreisen und des Informationszentrums der
Stadt Krakau mit Sitz in Nürnberg, versuchen natürlich auch in vielfältiger Art und Weise unsere Landsleute in Polen bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms aus der Ukraine nach Können und Vermögen zu unterstützen. Aktuell hat uns eine Bitte der Grundschule Nr. 77 aus Krakau erreicht, die für ukrainische Flüchtlingskinder neue Kleidung, Schulmaterial und Lebensmittel benötigt. Wir mobilisieren alles was möglich ist, um der Bitte aus Krakau nachzukommen und rufen auch öffentlich dazu auf, der Schule in der Partnerstadt Krakau zu unterstützen. Bei Fragen können Sie sich gerne an uns wenden.
Wie kann den Menschen vor Ort geholfen werden?
Für Ukrainer:innen die in andere Teile der EU reisen wollen müssen kostenlose Transportmöglichkeiten bereitgestellt werden. So kam zuletzt eine Delegation aus Spanien nach Krakau, die einen Reisebus zur Verfügung gestellt hat. Dabei ist zu beachten, dass solche Transporte unbedingt mit offiziellen Stellen, also den Lokalverwaltungen, abgeklärt werden sollten. Dies ist wichtig, da die Sicherheitsbehörden besorgt sind, dass Menschenhändler die Verletzlichkeit der Flüchtenden ausnutzen könnten. Somit ist Transparenz und Kooperation Gebot der Stunde. Sollten Bustransporte organisiert werden dann könnten diese mit dem Transport von Hilfsgütern kombiniert werde. Auch Geldspenden an lokal agierende Hilfsorganisationen sind immer willkommen. Insbesondere angesichts der stark gestiegenen Benzinpreise stellt die Logistik eine immer größer werdende finanzielle Herausforderung dar. Sachspenden werden im ganzen Land gesammelt und Transporte von Kleidung, Medikamenten und Hygieneprodukten in die Ukraine organisiert.
Falls auch Sie spenden wollen, verweisen wir Sie gerne an unsere langjährigen Partner aus Warschau, die seit Kriegsbeginn Hilfe für die Ukraine organisieren. Weitere Informationen finden Sie unter Freie Ukraine.